Ich bin in einem Dilemma: Gerne würde ich Bekannten, die demnächst heiraten, wie jedem anderem auch Kinder wünschen. Andererseits weiß ich, dass dies nicht immer gut ankommt. Ich kenne genügend Menschen in meiner Umgebung, die sich ausdrücklich keine Kinder wünschen… oder wenn überhaupt, dann ein einziges. So sehr ich selber ein kleines Menschenleben genieße, so gut kann ich auch die verstehen, die es aus unterschiedlichsten Gründen ablehnen. Neben den persönlichen Gründen (die meiner Erfahrung nach nur selten gegen ein Kind sprechen) sind es viele Gründe, die einem die Gesellschaft (so wie sie in Deutschland ist) liefert.
Auch wenn es seltsam klingt, muss man die Zahlen und Prognosen unser Gesellschaft berücksichtigen: Will man überhaupt einem Kind das Leben schenken, wenn man weiß, dass es im Jahre 2060 0,7 Rentnern die Rente bezahlen muss (2008 waren es 0,33 Rentner pro Arbeitnehmer), den riesigen Schuldenberg (den die 2 Generationen vor ihm hinterlassen haben) abtragen muss und zugleich für die unheimlichen Pflegekosten (vornehmlich der Kinderlosen) aufkommen soll? Würden Sie sich die Verdopplung der Pflege-, Kranken- und Rentenversicherung wünschen? Könnten Sie das mit Ihrem Gehalt leisten? Genau das ist für das Jahr 2060 zu erwarten!*
Natürlich ist das kein Grund einem Menschen das Leben zu verweigern. Man kann auch die Gesellschaft ändern: Den Kranken-, Pflege- und Rentenversicherungssatz der Kinderlosen auf das Doppelte zu erhöhen, würde sicherlich einen Sinneswandel einleiten. Die Verdopplung ist keine Erfindung von mir. Jemand hat es mir ganz schlüssig erklärt: Ein Ehepaar mit einem Kind hat die 50%ige Chance von eigenem Kind versorgt, gepflegt und unterstützt zu werden (es tut dies oder auch nicht). Bei zwei Kindern ist die Gefahr, dass die Gesellschaft diese Leistungen erbringen muss, noch einmal um die Hälfte kleiner (das zweite Kind springt ein oder auch nicht). Bei kinderlosen Paaren ist die Wahrscheinlichkeit, dass jemand außer der Gemeinschaft selbst sie pflegen bzw. unterstützen würde, nahezu gleich Null.
Ein anderer Aspekt ist der Umgang mit den Kindern in der Öffentlichkeit. Sie sind lästig. Aber nur halb so lästig, wenn man selber welche hat. Das Babygeschrei ist immer noch ein Alarmsignal und Adrenalin-Schuss zugleich. Doch man hat gelernt, damit umzugehen: das Kind zu beruhigen, die eigene Überempfindlichkeit in den Griff zu kriegen oder sogar selber am Mitspielen Spaß zu haben. Man muss nicht jeden pöbelnden sechsjährigen als Gottgegeben hinnehmen. Man muss aber auch kein günstiges Haus neben einem Kindergarten kaufen, um später die Einrichtung aus der Nachbarschaft rauszuklagen (was in Summe günstiger ist als ein Haus in ruhigerer Lage). Einrichtungen für Kinder (aber nicht unbedingt für Jugendliche) müssen von den Lärmbelästigungsklagen herausgenommen werden. (Das passende Gesetzt lässt aber auf sich warten.)
Oft wird die Vereinbarkeit von Familie und Beruf genannt. Es stimmt. Wenn man um einen Kita-Platz bangen muss und das riesige Haushaltsloch durch unbezahlte Elternzeit auf sich zukommen sieht, kriegt man wirklich Angst. Wir müssen den Erfindern des Elterngeldes dankbar sein, dass sie zu diesem Zweck die Rentenkassen belasten. Kinder sind eben im Kapitalismus ungewollte Störenfriede. Ohne die Einschränkungen des Kapitalismus wie dem Elterngeld und der gesetzlichen Elternzeit würden wir funktionieren wie in Zeiten der feudalen Herrscher: arm, schutzlos und ums Geld bettelnd (mit Kindern) oder als wohlhabende unbarmherzige Sklaventreiber (als Kinderlose). Das Vater- oder Muttersein muss zu einem besonderen Schutzrecht führen (entsprechend der Anzahl der Kinder – versteht sich). Das Diskriminierungsverbot sollte zuerst für die Eltern, dann erst für Religions-, Geschlechts- oder Parteizugehörigkeit etc gelten. Während eine Überzeugung oder ein bestimmter Glaube die moralischen Werte der Gesellschaft prägt, sichert die – genauso private – Entscheidung für ein Kind das Überleben einer solchen. Diesen besonderen Schutz brauchen die Eltern auch als Sicherheit. Im anderen Falle ist es eher eine Sicherheit für den Arbeitgeber, der weiß, dass seine Angestellten alles tun würden, um Ihre Kinder ernährt zu bekommen… Was leicht zur unmoralischen Ausbeutung der „Schwächeren“ führen kann.
Nicht zuletzt ist die Gefahr, mit einem Kind „im Regen stehen gelassen“ zu werden nicht unerheblich. Wer als Paar ein Kind betreut hat, weiß wie müde man am Ende des Tages sein kann. Wer es ganz alleine leisten soll, darf zurecht Angst davor haben. Diese ist nicht unbegründet. Die Scheidungsquote hat sich in den Jahren 1960 – 2008 verfünffacht von knapp 10 auf über 50%! Einerseits ist die Scheidung etwas so völlig gewöhnliches geworden, dass man das Trauversprechen („bis zum Tode“) als eine bedeutungslose Floskel verstehen darf. Andererseits hat man den Frauen im Falle einer Scheidung so viele Rechte eingeräumt, dass die Frauen es eher in Erwägung ziehen als ihre gut verdienenden Gatten. (Der Scheidungswunsch der Frauen übersteigt den der Männer um ca. 30%.) Da diese besonderen Rechte die Menschen davor nicht abhalten können, als Paar für ein Kind zu sorgen, muss man wohl andere Überlegungen anstellen. Die Absetzbarkeit von Scheidungskosten von der Steuer, ist (gelinde ausgedrückt) eine Frechheit gegenüber den Heiratswilligen, die die Kosten der Hochzeit nicht steuerlich geltend machen können.
Als letzter Grund gegen die Kinder (bewusst in Mehrzahl) spricht die Konstante in unserer Gesellschaft für das 2+1-Modell. Ist in diesem Modell mit der „1“ kein Hund und kein Auto gemeint, handelt es sich um ein Elternpaar mit einem Kind. Davon haben wir mehr in Deutschland als vom Typ 2+2, 2+3 etc zusammen. Manchmal hört man ein leises „selber schuld“, wenn Menschen von Problemen oder Not wegen der höheren Kinderzahl erzählen. Manchmal werden Mütter mehrerer Kinder von anderen Frauen als „Gebärmaschinen“ beschimpft als ob es eine Krankheit wäre, die man meiden sollte. Ist es etwa wünschenswert, eine Gesellschaft auf Tausenden schlecht sozialisierten oder egozentrischen kleinen Bürgern aufzubauen?
Wenn man so überlegt, wie ungünstig es ist, heute Vater, Muter oder ein neuer Mensch zu werden, müsste man sich der Phrase mit dem Kindersegen eher enthalten. Andererseits ist das Vater- oder Muttersein eine wichtige Lebenserfahrung. Man wird dadurch reifer, erfahrener, gütiger, rücksichtsvoller… Manchmal verzweifelt oder scheitert man an dem eigenen Anspruch. Das bedeutet aber auch, das man weiß, wie man sein will – auch wenn man es nicht erreichen kann. Für dieses Wachstum im Erwachsenenalter ist die Nachkommenschaft zuständig…
Da man nicht nur gibt/geben muss, sonder auch sehr viel zurück bekommt, sollte man den „Kindersegen“ auf der Glückwunschkarte vielleicht doch nicht vergessen… Das Urvertrauen eines Babys, das einem Erwachsenen „Wundertaten“ entlockt, bestätigt ihn auch in seiner Existenz: „Was du kannst, ist toll!“ sagt es jeden Tag aufs Neue. Man füllt sich nicht nur gebraucht. (Gegenstände brauchen und gebrauchen wir täglich – ohne sich bei ihnen zu bedanken.) Man wird unentbehrlich. Und das Lächeln ist der Dank. Ein Kind kann den größten Pechvogel lieben – nur weil er sein Vater ist. Einem Kind schmeckt es, auch wenn die Mutter gar nicht kochen kann. Man wird geliebt nicht dafür was man leisten kann, sondern dafür, dass man da ist und sich liebevoll bemüht. Die kleinen Kinder sehen meist mit dem Herzen ;-) (…wie es der Kleine Prinz formulieren würde.)
Gläubige Eltern sehen zudem in ihren Kindern ihre Schöpfung (die sie schützen und vor Bösem bewahren wollen) – so wie Gott es in Ihnen sieht. Man muss nicht ins Kloster, um in der Seele Gott so nahe zu kommen.
Ich denke, es ist mir selbst klar geworden, was zu tun ist: Den Kindersegen wünsche ich den Brautleuten und von den deutschen Politikern wünsche ich mir und unserer Gesellschaft den Rest.
* Diese Angaben beruhen auf einer Deutung des Statistischen Jahresbuchs 2010. Ich nehme grob an, dass alle 20- bis 65-jährigen Arbeitnehmer sind. In Wirklichkeit sind es viel weniger: Arbeitslose, Studenten und Selbständige (sowie Anwälte, Ärzte etc) müsste man davon im Bezug auf Renten abziehen.
Quellen: Statistisches Jahresbuch 2010 2.17, 2.33, 2.34, 2.35