Es regt sich auf, wer nur kann. Die einen sehen einen riesigen Sündenfall, die anderen wollen den Sünder um jeden Preis stützen. Jeder Sammelt Unterschriften. Nur wenige hinterfragen die Kampagnen.
Solch plakative Grabenkämpfe sind sehr medienwirksam, weil sie die Neugier und News-Sucht der Medien-Macher befriedigen. Einem politisch ambivalenten Bürger fällt in dem Getöse etwas völlig anderes auf: Es geht hier weder um die richtige Politik, noch um das Beste für unser Land. Rauchschwaden verbergen unsere wahren Probleme. Ich habe mit die Mühe gemacht, mich nicht auf dies oder jenes festzulegen, sondern die Fakten und Stimmen im Falle des Nichtdoktors zu sammeln und aus einer gewissen Entfernung anzuschauen, so als ob ich in Monaten und nicht in Stunden rechnen würde. Folgendes ist dabei herausgekommen:
- Wie die Frau Dr. Merkel richtig bemerkte, handelte es sich um einen Verteidigungsminister, nicht um einen wissenschaftlichen Assistenten (grober Kategorienfehler der Kritiker).
- Die Vorwürfe sind schwerwiegend, aber im wissenschaftlichen Umfeld nicht wirklich erschreckend.
- Die Anti-Gutenberg-Kampagne begann schon früher und scheint ihren Ursprung im Popularitätsneid zu haben.
Diese drei Punkte reichen.
Wenn es um den „wissenschaftlichen Assistenten“ geht, muss man auf die sachlich sehr lose Zusammenhänge denken. Es ging ja niemals um Sachen wie Abschaffung / Aussetzung des Wehrdienstes oder darum, dass man mit diesem Schritt nicht so viel Geld sparen kann, wie anfangs angenommen. Die Argumente ad res wurden kaum gehört oder scheinen den meisten gleichgültig (wohl angesichts der Mehrheitsverhältnisse im Parlament). Vielmehr wurde von beiden Seiten auf der Popularität des Adligen „geritten“. (Diese gab es angeblich zunächst unter bayrischen Soldaten und Reservisten, die verstärkt durch eine smarte Erscheinung in die ganze Republik ausstrahlte.) Dass ein gut aussehender Mann keine fortschrittliche, bürgernahe oder nachhaltige Politik anzubieten braucht, um in der Politik groß rauszukommen, wissen wir spätestens seit dem Vorgänger der amtierenden Bundeskanzlerin. Genauso unsinnig waren die Vorwürfe im Zusammenhang mit der Doktorarbeit. Anfang 90er Jahre gab es einen ähnlichen Fall bei den polnischen Präsidentenwahlen: der Gewinner der Direktwahl gab an, Akademiker zu sein, obwohl er sein Studium nicht wirklich mit dem Magister abgeschlossen hatte. Das oberste polnische Gericht entschied, dass die Wahl gültig sei, weil der Kandidat nicht nur wegen seiner Ausbildung gewählt wird. Da diese Entscheidung nahezu allgemeingültig ist, wurde ein anderer Scheinargument erfunden: Jemand der bei der wissenschaftlichen Arbeit unredlich sei, wäre auch als Politiker unglaubwürdig und somit untragbar. (Das bedeutet übersetzt: „Wer aus Nachbars Garten einen Apfel gestohlen hat, würde sicher auch im Supermarkt den großen LCD-Fernseher klauen“ – purer Unsinn!).
Wenn es um die wissenschaftliche Arbeit des Mannes geht, dann muss ich vor der Arbeit des Mannes (wie auch vieler anderer) Respekt zollen. Eine so umfangreiche Arbeit mit über Tausend Fußnoten als junger Vater zu verfassen übersteigt auch meine Fähigkeiten. Ich begrenze mich auf ca 250 Seiten und ca 200 Quellenangaben. Wenn K.-T. wirklich seine Arbeit selber geschrieben hat, hätte er es auch wissen müssen, was in seiner Arbeit steckt. Da er es nicht wusste, muss man davon ausgehen, dass er diese entweder nicht selber geschrieben hat oder durch Pech („verschlucken“ der Fußnoten durch die Software) bzw. durch starke Ablenkung durch seinen Nachwuchs etwas anderes abgegeben hat, als er beabsichtigte. Welche Version man glaubt, ist jedem selber überlassen. Die Wissenschaft (oder genauer „das wissenschaftliche Arbeiten“) kennt schlimmere Fälle, die bestenfalls unter Freunden erwähnt werden: Poster oder Präsentationen, die eine Professorin als eigen auf einem Kongress vorstellt, obwohl sie aus dem Netzlaufwerk der Assistentin stammen… oder abgelehnte Versionen einer Doktorarbeit (bzw. Forschungsergebnisse), die kurze Zeit später in das Buch des Doktorvaters Einzug finden. Die Wissenschaft ist nicht die Insel der Reinen und Frommen. Auf einem Uni-Campus werden auch keine weißen Täubchen gezüchtet. Der moralische Verfall ist hier genauso schlimm, wie anderswo auch. Wenn die 20 000 Doktoren und Doktoranden – die Unterzeichner des offenen Briefes an die Bundeskanzlerin – nicht sehen, dass haben sie das Glück einer selektiven Wahrnehmung oder einen Promotions- / Arbeitsort, an dem so etwas noch nicht publik geworden ist. Meine Kritik an diesem Offenen Brief bedeutet nicht, dass ich Plagiate gutheiße. Im Gegenteil. Ich erwarte, dass jede unethische Zugänglichmachung oder Aneignung fremder Arbeit, gleich behandelt wird: ob zwölfjähriger Filesharer, dreißigjähriger Doktor oder fünfzigjähriger Professor.
Als drittes fiel auf, dass zuerst ein Vorfall von der Gorch Fock auftauchte (obwohl er zeitlich gar nicht in den Bericht des Bundeswehrbeauftragten hinein passte). Über die Tatsachen wissen wir bis heute sehr wenig. Aber an die Aufregung, die sich daraus ergeben hat, kann sich jeder gut erinnern. Man arbeitete seit langem im Hintergrund daran, dem beliebtesten Politiker Deutschlands, zu schaden. Dabei hätte es gar nicht so persönlich sein müssen. Das scheibchenweise Ausrücken der Wahrheit kam es auch bei Themen wie Kundus. Das wäre der Ort, einem Minister (in seiner Rolle als Minister) auf die Finger zu klopfen. Warum man das versäumt hat, ist mir unbegreiflich. Vielleicht aus Kollegialität unter Politikern.
Ich möchte das Rad nicht zurückdrehen und auch nicht unbedingt den Frauenschwarm als Minister zurück. (Auch wenn ich ihn persönlich sehr sympatisch finde und für gebildet und eloquent halte.) Ich hoffe inständig auf die Rückkehr der sachlichen Debatten und Vorschläge zur Lösung unserer Probleme. Ich bin schon gespannt, welche realistische (!) Antwort die Volksvertreter sich einfallen lassen, nachdem es 2012 90% zu wenig Zivis und um 90% zu viel Erstsemestler gibt.