Jemand hat auf der CeBIT nebenbei erwähnt, dass es in der europäischen Tradition den ursprünglich englischen (amerikanischen) Begriff „geistiges Eigentum“ gar nicht gibt. „Vaterschaft“ beschreibe das Verhältnis zwischen dem Werk und seinem Schöpfer viel exakter. In der Tat, scheint mir diese Begrifflichkeit besser geeignet, zumal der Begriff „geistiges Eigentum“ spätestens seit den ACTA-Verhandlungen zur Gelddruckmaschine verkommen ist.
Wenn man den Begriff des Eigentums wörtlich nimmt, ergeben sich daraus Deutungszusammenhänge, die keinesfalls auf ein Gedicht, Lied oder Patent anwendbar sind. Nehmen wir das Beispiel der Zerstörung des Werkes durch seinen Schöpfer. Dies kam sehr oft unter Malern oder Dichtern vor: ein Werk, das in den Augen seine Schöpfers für ungenügend gehalten wurde, musste einem neuen – nicht immer einem besseren – weichen. Doch ein Wort – einmal in der Öffentlichkeit ausgesprochen – lässt sich nicht vernichten. „Sozial ist, was Arbeit schafft“ wird in die Geschichte als Ansicht der ersten deutschen Bundeskanzlerin eingehen. Die Äußerung und ihr Schöpfer gehören unvermeidbar zusammen. Wenn ich jemanden in der Öffentlichkeit beschimpfe, kann ich es nicht mehr ungeschehen machen – ich kann es nicht vernichten. Ich bin für mein Wort verantwortlich.
Gleiches gilt für die Technik: Die Entdecker der Kernspaltung und somit ungewollt „Erfinder“ der sog. Atombombe haben ihr Lebenswerk und dessen Fortentwicklung kritisch begleitet. So wandte sich Einstein an den US-Präsidenten in einem Brief und bat um die Nichtanwendung der Kernspaltung als Massenvernichtungswaffe. Leider ohne Erfolg.
Der Unterschied zwischen „Eigentum“ und der „Vaterschaft“ ist das Verhältnis zwischen dem Urheber und einem Werk: „produziere“ ich etwas, um es einfach weiter zu verkaufen oder „erschaffe“ ich etwas, was von mir herausgeht und ein Teil meiner selbst ist? Interessanter Weise kann ich meine Urheberschaft nicht loswerden: Auch wenn ich etwas unter Public Domain = als Gemeingut veröffentliche, bin ich trotzdem sein Schöpfer und gebe lediglich allen Menschen das Recht zur freien Nutzung. Meinen Besitz kann ich „anonymisieren“. Wenn ich einen Gegenstand auf der Strasse ablege, wird es irgendwann von jemandem mitgenommen, weil es nicht zu erkennen ist, wer der Besitzer ist – das Besitzverhältnis wechselt.
Die „geistige Vaterschaft“ steht in keinem Widerspruch zu Tantiemen, die man davon ableitet: Ich kann für das Vortragen von Gedanken und Wissen zu einem bestimmten Thema Honorar erhalten oder für das Zugängnlichmachen des Vortrags in schriftlicher Form Geld verlangen (und das von jeder Person, die es lesen will). Entwickelt es sich jedoch zum Allgemeingut – weil es für alle interessant oder gar notwendig ist – müsste ich es akzeptieren, dass ich durch das Verlangen solcher Gebühren vom Zugang zu diesem Gut ausschließe. Das ist aber in meinen Augen unmoralisch, weil hier die Armen benachteiligt werden. Die konkrete Realisierung, die mit Kosten verknüpft ist wie die Druck-Kosten oder die Kosten elektronischer Lieferung (Strom-, Vorhaltungs- und Übertragungskosten) – die in den meisten Fällen nur einen Bruchteil der gegenwärtig verlangten Kosten darstellen – muss in diesem Fall der Konsument (oder eine öffentliche Einrichtung) tragen.
Die Idee der kommunalen Bibliothek, die solche Werke in einer konkreten Realisierung kostenfrei bereitstellen, kann nicht als Entschuldigung für den Ausschluss breiter Maße vom Zugang zu eben diesem Werk angeführt werden. Auch die Kommunen können die notwendigen Kosten kaum tragen. Eine ethisch vertretbare Lösung bestünde darin, die Lizenzgebühren an den finanziellen Möglichkeiten der Interessenten auszurichten. Es kann doch nicht sein, dass den meisten Afrikanern der Zugang zu lebensrettenden Medikamenten nur deshalb verwehrt wird, weil sie die auf Europäer ausgerichtete Preise nicht tragen können. Was seit einigen Jahren (in Form eines Almosens von Seiten der Pharma-Großkonzerne) mit afrikanischen Staaten praktiziert wird, konnte nur durch starken Druck der Gesellschaft passieren: Einige AIDS-Medikamente werden nahezu zu Herstellungskosten verkauft (behauptet zumindest mal das Fernsehen). Es ist immer noch kein Vertrag auf gleicher Augenhöhe – Eher ein Almosen, der jederzeit enden kann.
Aus eben diesen Gründen postuliere auch ich für die Verwendung des Begriffen der „geistigen Vaterschaft“, die nicht nur Rechte, sonder auch moralische Pflichten beinhaltet, an stelle des verkürzten „geistigen Eigentums“, das nur zum Geld-Machen zu verpflichten scheint…