Jeder Christ – aber auch viele Nichtchristen – kennen das Gleichnis vom verlorenen Schaf. Es ist sogar ein Teil der meisten europäischen Sprachen geworden – eine Redewendung, die man auf deutsch oder polnisch sofort versteht. Und die meisten von uns kennen auch die Deutung, die Jesus selbst im Evangelium gibt: Gott läuft den Menschen nach und sorgt für sie, obwohl sie die Herde gefährden. Man kann es aber auch anders verstehen.
Ich weiß nicht warum, aber ich habe die Geschichte auf einmal anders herum verstanden. In der Originalfassung ist das Schaf ziemlich dumm, unselbständig und überhaupt nicht für sich selbst verantwortlich. Unser Leben lehrt uns aber das Gegenteil: Wir sind für uns und unser Leben verantwortlich, wir sind recht klug und wollen alles selbst entscheiden. Hoch lebe die (post-)Moderne!
Eines bleibt gleich: das Vorbild eines guten Hirten.
Wenn ich nun für mein Leben verantwortlich bin und mein Leben viele Schäfchen hat (den Beruf, die Freundschaften, die Ehe, das Hobby und den Glauben), dann muss ich für meine Schafe ein guter Hirte sein. Geht eines davon verloren, muss ich es in die Herde – die mein Leben darstellt – zurückholen. Als guter Hirte nach dem biblischen Vorbild muss ich es riskieren, die Herde unbewacht zurück zu lassen, wenn mir ein wertvolles Schaf geflüchtet ist. Fehlt in der Herde die Freundschaft, müssen Beruf und Familie kurzfristig auf mich verzichten. Ist der Beruf weg, müssen Freunde auch mal auf mich verzichten können. Alles so weit einfach, so weit selbstverständlich.
Und jetzt kommt der Hammer. Was mache ich, wenn mir der Glaube im Leben fehlt? Nehme ich die Auszeit von Freunden und Beruf, um auf die Suche nach Gott in meinem Leben zu gehen? Wenn ER in meinem Leben wichtig ist, dann setze ich den Rest meiner Herde einem bestimmten Risiko aus, um ihn zu suchen. Oder ist ER es mir nicht wert? Ich bin der Hirte. Ich entscheide, was mir in meiner Lebens-Herde wichtig ist. Ich bin der Hirte meines Lebens. Hoffentlich ein guter.