Zensur im Digitalzeitalter

Ein laikaler Staat gibt sich eine Verfassung, indem er den Wunsch und die Idee des Souveräns (also des Volkes bzw. der Nation) in ein Gesetz gießt. Die zugrunde liegenden Werte dürfen jedoch nicht direkt aus einer Religion oder Offenbarung (wie Bibel oder Koran) entnommen werden. Wie man eine passende ethische Basis für das zusammenleben eines Volkes oder gar mehrerer Völker in einem Saat, ist bis heute unter den Philosophen nicht eindeutig geklärt. Unbestritten ist hingegen das Ideal der Menschenrechtcarta („Allgemeine Erklärung der Menschenrechte“ der Vereinten Nationen). Darin finden wir die Wurzeln unseres Grundgesetzes. Auch das Recht auf freie Meinungsäußerung und den freien Zugang zu Informationsquellen bzw. die Freiheit der Veröffentlichung. Bis auf wenige Fälle, die dem Grundsatz der Menschenrechte widersprechen (rassistische Propaganda), soll es eine Zensur in Deutschland auch nicht geben. Und es gibt sie doch!

Allgemein bekannt dürfte die Situation in China sein: Ein kleines Gremium hält das Volk für dumm, stopft sich die Taschen voller Geld und hindert die Bürger daran, sich frei über die Vorkommnisse im eigenen Land zu informieren.  Die offensichtliche und nicht zu überwindende Zensur aller Medien. Sie ist nur lokaler Natur aber dennoch unübersehbar. Ähnliches hätten wir im Prinzip mit Zensursula bekommen, wenn auch nur ansatzweise…

Ein weiterer Hinweis auf Zensur ist im Rechtsstreit des heise-Verlages in Sachen Hyperlinks zu suchen. Die Musikindustrie scheiterte im Oktober 2010 vor dem BGH mit dem Versuch, Links auf Inhalte die der Umgehung von Kopierschutz dienen oder unrechtmäßig (ohne Lizenz) im Internet verbreitet werden, zu verbieten. BHG schätzte das Recht auf Meinungsfreiheit und die Pressefreiheit höher ein als das Urheberrecht. Im Hintergrund stand auch die Frage: dürfen – oder gar – müssen schon Verweise auf illegale Inhalte zensiert werden? Die Antwort war klar. Die Verweise sind gehören mit der Beschreibung zu den gesellschaftlichen Informationsressourcen. Genauso wie jedes Toxokologie-Handbuch in der Bibliothek der medizinischen Fakultäten.

Eine weitere Entscheidung traf der EuGH vor wenigen Tagen. In diesem Fall ging es um das Filtern der Datenströme durch belgische Provider. Mit anderen Worten: dürfen bzw. müssen die Internet-Anbieter vorsorglich Dateien herausfiltern, die angeblich unrechtmäßig bezogen werden? Ein solcher Filter setzt voraus, dass die Daten untersucht werden. Das würde eine eifrige Nanny (auch „Big Brother“ genannt) auf den Plan rufen, die für den Menschen entscheidet, was er sehen darf und was nicht.  Ein solcher Eingriff in die Privatsphäre verstößt gegen die Menschenrechte. Ähnlich versteht es auch der LG Köln (Az. 28 O 362/10)

Doch auch außerhalb der Entscheidungen der höchsten Gerichte sind viele kleine „Nebenkriegsschauplätze“ auszumachen. Das Plus vom Google und das Facebook möchten den persönlichen Namen des Nutzers wissen und ihn auch darstellen. Pseudonyme sind beim G+ verboten, bei Facebook gar bekämpft.  Dabei ist ein Pseudonym die einzige Möglichkeit, Ungerechtigkeit oder Gesetzeswidrigkeiten (wie Bestechung etc) anzuprangern, ohne dafür den Kopf hinhalten zu müssen. Solche Leaks („Lecks“) aus ansonsten ganz dicht verschlossenen Informationskreisen sind wichtig, wie auch WikiLeaks beweist. Sie dafür zu bekämpfen, ist das erklärte Ziel der undurchsichtigen Machtstrukturen, die keine Transparenz wünschen. Keine Pseudonyme zuzulassen bedeutet, eine „Selbstzensur“ zu fördern und diesen Strukturen zu dienen.

Manchmal ist die Zensur nicht böse gemeint und dennoch eine: Wenn Menschen auf ihr Recht auf die informationelle Selbstbestimmung pochen und aus archivierten elektronischen Medien die zuvor selbst gemachten Angaben herauszuradieren versuchen. Sicher ist es nicht faire, wenn man sie bis in alle Ewigkeit mit ihren Jugendsünden öffentlich konfrontiert. Andererseits wäre es auch zu viel verlangt, ganze Informationressourcen auf einem Archivserver wie online-Journale oder online-Ausgaben von (meist lokalen) Nachrichten der Gesellschaft zu entziehen. Dabei ist zu unterscheiden: Facebook, das weniger der qualifizierten Information als mehr dem Zeitvertreib dient, ist nur minderwertige Informationsquelle. Ein Gemeindeblatt als Spiegel des öffentlichen Lebens einer Ortschaft etwas ganz anderes. Mag sein, dass sich dies irgendwann ändert.

Auch Wikileaks (man kann es befürworten oder auch ablehnen, aber sicher nicht verneinen) ist ein Informationslieferant von hohem Wert. Die Informationen können als solche nicht zensiert werden – die Struktur des Internets macht es möglich. Auch ein öffentliches / gerichtliches Verbot kann ohne Verlust an Glaubwürdigkeit von keinem Staat verhängt werden. So versucht man es durch Finanzierungs-Klemme, außer Gefecht zu setzen. Die großen Unternehmen wie PayPal, Visa etc leiten keine Spenden an diese Organisation weiter. Das geht ohne Gericht…und wohl auf Druck der USA.

Wie wir sehen, ist die Freiheit des Wortes und der Information nicht immer gegeben. Unsere Ideale werden von Staaten, Unternehmen und Privatpersonen beschnitten. Um die Freiheit der Informationen und um den Erhalt deren Quellen müssen wir Tag für Tag kämpfen.