Sprechen Sie katholisch?

Verreckt die Kirche an ihrer Sprache?“ – fragt katholisch.de rhetorisch im Titel des Interviews mit dem Kommunikationswissenschaftler und Buchautor Erik Flügge. Diese Frage stellt sich mir schon seit einiger Zeit, nicht erst seit ich das Buch „Jargon der Betroffenheit“ von diesem Mann in der Hand hielt. Die Kirche hat in der Tat ein Vermittlungsproblem, vor allem der Sprache wegen. Aber nicht nur.

Die Kirche in Westdeutschland scheint unter demselben Phänomen zu leiden, wie die römische Kirche seit der sog. Konstantinischen Wende. Die Bistümer unterhielten in letzten Jahren ganze Hochhäuser voller Kirchenbeamten und -Angestellten. Viele davon sind Priester, Messner, Gemeindereferenten etc. und durch ihren Dienst sehr nahe am seelsorgerischen Auftrag bzw. am Menschen. Es gibt aber auch elitäre Kreise, die so sehr mit der Verwaltung (z.B. der Seelsorger und des Kirchenvolkes) beschäftigt sind, dass sie das Gefühl für den Alltag der Menschen und ihre Sprache verloren haben.

Vielleicht ist diese Sichtweise zu einfach und es gibt weitere Faktoren. Mir erscheint das hinreichend, um zu erklären, warum die Gläubigen ihren eigenen Glauben nicht mehr kennen. Die hierarchische Beschaffenheit der Kirche hat neben vielen Vorteilen einen großen Nachteil: Die „da oben“ geben „denen da unten“ vor, was zu predigen und zu glauben sei. Das trifft auf die Ausrichtung der Seelsorge vor Ort, die Katechese in der Schule oder färbt in Form von Sprachcodices ab. Solche „Subsprachen“ oder genauer „Fachsprachen“ sind Dialekte, die für besondere Teile der Gesellschaft gelten und durch Fremdwörter und Fachbegriffe für „die außen“ unverständlich sind.

Es gibt auch in der katholischen Kirche interessante Gegenbewegungen, die durch die besagten Eliten teils sehr skeptisch betrachtet werden (im Gegensatz z.B. zu den Päpsten, die es nicht so eng sehen). An der ersten Stelle ist Youcat – ein Jugendkatechismus von 2011 – sowie die dazu passende Bibel-Ausgabe mit Erklärungen zum historischen Horizont und passenden Zitaten aus den letzten 20 Jahrhunderten zu erwähnen. Auch eine Erneuerung des Gotteslobs (vielleicht mit der Ausnahme der neuen Version von „Fest soll mein Taufbund immer stehen“) der mehr Psalmen und gleichzeitig mehr Lieder mit aktuellem Sprachgebrauch beinhaltet, war nach über 30 Jahren überfällig. Eine für mich geniale Erfindung ist das IV. Hochgebet, das in sehr einfachen Sätzen die Heilsgeschichte erzählt – hier könnte ein Nichtchrist dem Inhalt gut folgen und unsere Dankbarkeit verstehen, vielleicht auch teilen. An die „Erneuerung“ der Einheitsübersetzung knüpfe ich große Hoffnung, denn hier lauern die meisten Missverständnisse.

Was ist also an unserer Kirchensprache falsch?

  1. Fremdwörter und Fachbegriffe. Oder haben Sie sich schon mal „erlöst“ gefühlt? Nein? Geht es Ihnen vielleicht besser, wenn Sie wissen, dass Sie gerechtfertigt sind? Ich muss zugeben, dass es mir als Theologe nicht immer leicht fällt, zu verstehen, was da wirklich „drinnen steckt“. „Unsere Schuld“ im Vaterunser meint im Original so etwas wie „Bankschulden“ oder „Kredit“ – Wow, das muss ich erst einmal Verdauen!
  2. Floskeln. Die Seelsorger und Psychologen haben eine butterweiche Betroffenheitssprache und für alles Verständnis. Es mag eine Methode der Einstimmung auf das Gegenüber sein… Sie ist aber inhaltslos und rein emotional. Hinter Begriffen wie „Gottes Stärkung“ oder „Gnade“ steckt nicht immer der Glaube an die Macht Gottes, die alles ändern könnte – manchmal fühlt es sich an, wie ein Trostpflaster über einer klaffenden Wunde.
  3. Die poetische Sprache. Man wagt es nicht, die Realität dieser Welt der Realität des Reiches Gottes gegenüber zu stellen und Tatsachen beim Namen zu nennen. Manchmal ist die butterweiche Sprache sogar der buddhistischen Weisheitslehre ähnlich. Pure sinnentleerte Symbolik und Pudderzucker, die existenziell keinen berühren. (Beispiel: „Er ist von uns gegangen…“ – Hä?! Wohin? Und warum?; Oder: „Wir machen uns auf den Weg X und Y in unserem Leben nachzuspühren.“ – Männliche Wanderfreunde kenne ich zu Hauf aber für’s Fühlen sind ihre Frauen zuständig.) Worthülsen sind leicht verdaulich, weil ohne Inhalt.
  4. Kinderparadies. Wenn in der Kirche bestimmte Begriffe fallen, fühlen sich einige an die Ausmahlbildchen im Religionsunterricht vor 50 Jahren erinnert. „Gott Vater“ – O.K., das ist der Opa im Nachthemd mit dem langen Bart. „Himmel“ – das ist da über den Wolken. So kindisch-banal sind die Bilder hinter den Begriffen, weil keiner gewagt hat, die alten gegen passendere auszutauschen.
  5. Geschichten aus der Bibel kennt man nur vom Disney-Zeichentrickfilm – also nur zum Teil richtig. Im Religionsunterricht sind seit Jahren kaum noch Erzählungen aus dem Alten Testament Thema. Dabei kennen Juden, Christen und Muslime sehr oft die gleiche Geschichte und können sie anders interpretieren. „Sodom und Gomorrha“ werden von Jugendlichen viel positiver verstanden als von ihren Großeltern. „Hiob war doch der mit dem Fisch…“ – OMG!
  6. Die Deutungshochheit haben wir an die Medien abgegeben. Ob eine Enzyklika gut oder schlecht ist und was überhaupt ihr Inhalt ist, sagt die Tagesschau, nicht der Pfarrer. Ich kann wetten, dass ich die Hälfte der ablehnenden Haltung meiner Zeitgenossen mit Missverständnissen im Verständnis der Lehre der Kirche erklären kann. Es gibt Gründe, die nichts mit den Inhalten und der Vermittlung haben. Die sind meist sehr persönlich. Sie werden auch nicht genannt. Die angeblichen inhaltlichen umso mehr.
  7. Unpersönlich. Wenn sich ein Brief aus der pastoralen Abteilung eines Bistums wie ein Gerichtsurteil liest, dann stimmt es eindeutig etwas mit dem Autor nicht. Ein Priester, der in der Predigt über sein eigenes Leben mit Gott erzählt, über seine Schwierigkeiten und seine Freude zieht meiner Erfahrung nach in die Sonntagsmesse Gläubige aus dem Umkreis von 30 km.  Das Zeugnis – das wichtigste Werkzeug der Evangelisation – also der Beweis für Freude über die Liebe Gottes scheint der katholischen Kirche verloren gegangen. Man zieht lieber ferne und fremde Lebensgeschichten von Heiligen vor. Ich habe ja nichts erfreuliches von Gott erfahren, was ich auch anderen wünschen würde. Und überhaupt: Gott ist nicht mein bester Freund!

Wie geht es besser?

Zwei Beispiele für zwei Gruppen von Botschaftsempfängern.

  • Was ist „Himmel“? Der Begriff selbst ist schon irreführend und falsch. Wir sprechen von „Reich Gottes“. Solche Königreiche kennt jedes Kind. Es ist eine Parallelwelt, die mit unserer einiges gemeinsam hat aber auch anders ist. Dort sind Sachen möglich, die in unserer Welt überhaupt nicht gehen. Nur weil man es nicht sehen kann, heißt es nicht, dass es nicht existiert. Wir kennen es vom Kleinen Prinz: „Nur mit dem Herzen sieht man gut.“
  • „In der Ezyklika XY verbietet Papst …“ – Der Papst kann als Staatschef seinen Beamten, seinen Staatsangehörigen und solchen, die ein besonderes Treueverhältnis haben (wie Priester, Bischöfe und folglich ihre Mitarbeiter) per Kirchenrecht Rechte und Pflichten festlegen. Für die Glaubenden ist seine Einschätzung der Glaubensinhalte bindend. Er gibt das objektive und meist abstrakte Maß vor. Die Umsetzung im Leben eines jeden von uns setzt 1. die Freiheit und 2. das Wissen um den Sinn des Gebotes voraus. Etwas, was objektiv als falsch eingestuft wird, kann im Leben eines Einzelnen durch äußere Zwänge oder mangels Unkenntnis des moralischen Urteils nicht gut werden. Ob Gott es als Sünde in einem solchen Fall ansehen will, müssen wir ihm überlassen. Die Kirche ist kein Ort, an dem nur perfekte (und uniforme) Menschen leben, die alle Gebote erfüllen. Die Kirche ist eine Gemeinschaft von Menschen, die die Liebe Gottes erfahren und mit Liebe beantworten wollen. Sie wollen Gott geben, was sie gerade geben können und suchen Wegweiser, was zu tun ist. Solche Wegweiser sind die apostolische Schreiben des Papstes.