Ich weiß nicht, ob es nur meine Wahrnehmung ist oder tatsächlich auch so ist (die Wissenschaft schweigt sich dazu aus): Die im Evangelium berichteten Begegnungen zwischen Jesus und Frauen sind viel emotionaler und existenzieller als die mit Männern. Bei Männern geht es oft um das harte theologische Wissen (das Reich Gottes, die Gleichnisse, die Aufträge) oder das Geschäftliche (wie kann man moralisch Handeln, in dem was man als Profession hat). Bei Frauen geht es ums Überleben, um das Leben in Schuld und Sünde, um das Trauern aber auch um einen wahnsinnig starken Glauben. Auch der Umgang scheint ein ganz anderer zu sein.
Mein erstes Beispiel ist die Frau, die gsteinigt werden soll, weil sie gegen das sechste Gebot des Dekalogs verstoßen hat. Sie wird nicht sofort entschuldigt. Und sicher hat sie darauf gehofft – es drohte ihr eine schreckliche Totesstrafe. Sie wird zum Spiegel für alle Männer, die sich für gerecht halten. Jeder, der dahin schaut, geht voller Scham heim. Zum Schluss erfüllt sich ihre Hoffnung aber es geht um sie selbst und um das Unrecht, das sie begangen hat. Es wird ihr verziehen. An diese Stelle können sich noch die meisten unserer Politiker, die den liebenden und verzeihenden Gott zitieren, noch erinnern. Was den meisten entfällt, ist der Schlusssatz: „und tue es nie wieder“. Hier wird die Barmherzigkeit und die Gerechtigkeit Gottes sichtbar: „Sünde tolerieren, ja. Sünde akzeptieren, nein!“ Nicht den Sünder hasst Gott, sondern die Sünde.
Ist es Ihnen vielleicht schon aufgefallen, dass nicht die Männer die Auferstehung Jesu als erste mitbekommen? Doch so ist es. Es sind die Frauen, die in Trauer zum Grab des übereilt bestatteten Meisters gehen. (Es waren auch mehrheitlich Frauen, die Jesus bis unter das Kreuz folgten.) Sie erleben als erste das leere Grab und bekommen den Auftrag, zu den Aposteln zu gehen, die sich aus Angst verkrochen haben… Eine von Ihnen ist – nach Johannesevangelium – auch der erste Mensch, der Jesus lebendig sieht. Es ist Maria aus Magdala, die in einigen christlichen Traditionen der Sünderin aus der vorherigen Geschichte gleich gesetzt wird. Man sagt ihr nach, sie wäre in Jesus verliebt gewesen. Mag sein: Wem viel verziehen wurde, der liebt umso mehr. (Lk 7,47)
In Markusevangelium Kapitel 5 wird von einer Frau berichtet, die an Blutung litt und somit ständig rituel unrein war. Auch ihr Mann wäre ständig unrein. Eine mehr als nur unangnehme Angelegenheit. Die Frau war „doppelt bestraft“: einmal wegen ihres Leidens aus der Gemeinschaft ausgeschlossen und religiös kalt gestellt. (Wie unsere Langzeitarbeitslosen, die beim besten Willen keinen Job finden.) Sie fasst ihren ganzen Mut zusammen und riskiert, vom Mob (der fast fanatisch Jesus umgibt) hart bestraft zu werden. Sie will etwas tun, was Strenggläubige als Verunreinigung empfänden. Deshalb tut sie es heimlich. Aber nicht heimlich genug: Jesus bemerkt es – der Mob nicht. Jesus stellt sie noch auf die letzte Probe. Sie muss sich offenbaren. Alles auf eine Karte setzen. Sie trifft die richtige Entscheidung, gibt alles zu und wird wegen ihres Mutes und ihres unerschütterten Glaubens mit der Heilung belohnt. Etwas so dramatisches mit so einem tiefen Glauben, wird nur noch von Petrus berichtet, der das Boot verlässt und einige Schritte weiter im Wasser versinkt.
Im Johannesevangelium (das sowieso schon sehr „frauenlastig“ ist) wird im Kapitel 4 eine weitere Begegnung zwischen Jesus und einer Frau berichtet. Eine Frau ca. 40 (war schon mehrmals verheiratet), lebt nach jüdischem Glauben jedoch unverheiratet mit einem Mann zusammen. Allem Anschein nach hat sie auch keine Freund mehr im Heimatort (warum sollte sie nicht – wie es damals üblich war – morgens mit anderen Wasser holen?). Mit anderen Worten: eine vom Leben enttäuschte Mittvierzigerin, sozial geächet und vielleicht unfreiwillig gegen eigene Überzeugung lebend. Dazu noch keine Jüdin, nur eine Samariterin. Und genau sie spricht Jesus an – ein echter Jude (die sich für was besseres halten – das auserwählte Volk). Aus dem Gespräch über das Wasser wird ein Glaubensbekenntnis. Aus dem Bekenntnis wird eine Offenbarung Jesu als Gott: „ich bin Christus – der Gesalbte, der Messias“. Daraufhin wird diese Frau, die keiner im Ort mochte, zum Apostel der erfüllten Prophezeihung Jahwes für alle Bewohner des Ortes. Jesus weiß um den sündhaften Lebensstil und sagt ihr das ganz direkt (was sie selbst wohl am meisten bedauert), will sie dabei aber nicht bloßstellen. Nein. Er erfüllt ihre tiefe Sehnsucht nach Anerkennung und nach einer Liebe, die die Sünde überwinden kann.
Da wären noch viele weitere Geschichten mit Frauen, die so anders sind: die Begegnung am Kreuzweg, die „Salbung“ durch Maria aus Magdala, Maria und Marta, die namenlose Wittwe, deren einziger Sohn „einfach so“ – im „Vorbeigehen“ quasi – zum Leben wieder auferweckt wird…
Bei dieser Bedeutung der Frauen für die Heilsgeschichte muss man sich schon fragen: Warum wurden nicht sie zu Aposteln bestellt, sondern die feigen Männer, die vor dem Kreuz geflüchtet sind? Es gibt dafür keine Antwort, da wir die Entscheidung Jesu vielleicht nie werden nachvollziehen können. (Gab es einen Menschen, der würdiger wäre, Priester zu werden, als Maria – die Mutter Jesu? Warum nicht sie?) Und doch sind es immer wieder Frauen, die der Kirche den richtigen Impuls geben: Katharina von Siena, Theresa von Avilla und die Theresa vom Kinde Jesu, die gebildete Edith Stein oder die stigmatisierte Mystikerin Marthe Robin.