„Bibliothek 2.0“ – Was soll denn das sein?

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Bevor wir von „Bibliothek 2.0“ sprechen, sollten wir uns vergewissern, ob es so etwas überhaupt gibt. Dieser Begriff ist zwar nicht oft aber dennoch im google-index anzutreffen. Es stellt sich nun die Frage, was er zu bedeuten hat…

Ich staunte nicht schlecht, als ich in wikipedia ( http://de.wikipedia.org/wiki/Bibliothek_2.0 ) den Versuch einer Definition dieses Geschöpfes fand. Leider ist sie dermaßen ungenau und mehrdeutig, dass man gar nicht von einer Definition sprechen kann. „Die englische Bezeichnung Library 2.0 wurde im Jahr 2005 von Michael Casey in seinem Blog LibraryCrunch als direkter Ableger des Begriffs Web 2.0 geprägt.“ hört sich nicht schlecht an… aber der Rest passt nicht zu „2.0“ – besonders, wenn man es mit dem Begriff „Web 2.0“ ( http://de.wikipedia.org/wiki/Web_2.0 ) vergleicht. Hier ist die Rede von „…eine Reihe interaktiver und kollaborativer Elemente des Internets, speziell des WWW …“, nicht von „… prinzipielle Einbindung des Bibliotheksbenutzers in die Gestaltung und Entwicklung besonders von digitalen Dienstleistungen …“ die Rede.

Im Web 2.0 geht es um den Paradigmenwechsel von Server-Client-Modell (der allwissende Server und sein unwissender Kunde) zum Mashup- / P2P-Prinzip: Jeder steuert zu Gesamtheit bei: sei es durch eigene Posts, Edition und Korrektur des bereits erfassten Wissens oder zumindest durch Zusammenstellung mehrerer Quellen. So will ich auch die ominöse  „Bibliothek 2.0“ verstehen, Nicht als Rückkannal für Feedback an den Bibliothekar. Anders gesagt: Bibliothek als Mashup oder Wiki, nicht als unfehlbare Datenbank mit einen Feld für Feedback.

[Wenn mich jemand also fragt, was ein gutes Beispiel für Web 2.0 ist, dann kann ich nur www.mixano.de empfehlen: Es ist RSS-Reader und gleichzeitig Mashup (viele RSS-Quellen werden miteinander kombieniert: z.B. mit Hilfe von Tags -> Social Bookmarking). Es erlaubt dem Benutzer Quellen hinzuzufügen, neue Mashups durch Tags zu generieren oder auch Nachrichten zu kommentieren.]

Was braucht also diese Unbekannte „Bibliothek 2.0“ in der Gleichung namens „Leben 2.0“?

Zunächst einmal die Möglichkeit, den Bibiliographischen Datenbestand vom Benutzer erweitern zu lassen. Natürlich ist der elektronsiche Katalog das Herzstück einer jeden Bibliothek. Es ist sozusagen die Lagebeschreibung des Schatzes, der auf seine Entdeckung in irgend einem Regal wartet. Doch nicht nur in den Regalen ist das Wissen zusammengestellt, für die Zukunft aufbewahrt und zum Abruf bereitgestellt. Dies kann ebenfalls eine PDF-Datei oder das ganze WWW sein. Deshalb muss der Benutzer in der Lage sein, seine Quellen „in’s Regal“ neben die Bücher zu stellen, es zu beschlagworten, mit anständigen Metadaten zu versehen (z.B. Dublin Core) und mit anderen Werken zu verknüpfen.

Des weiteren muss es dem Benutzer möglich sein – wie es oft bereits geschieht (Beispielhaft bei ZACK – Mit Doublettenkontrolle! unter http://opus.tu-bs.de/zack/) – gleichzeitig mehrere Quellen (Bibliotheken / Kataloge / Datenbanken) zu durchsuchen. Dadurch entsteht eine Art Mashup (online-Quellen werden nach Relevanz ebenso wie Zeitschriften und Monographien sortiert und in einem Ergebnis präsentiert). Printmedien, die eine Online-Version haben, verweisen natürlich dorthin. Im Gegenzug erlauben spezielle Metadaten in den Internet-Seiten eine Direkte Bestellung eines Egsemplars des Zitierten Buches in der Bibliothek Ihres Vertrauens.

Drittens: Der Bibliothekar ist nicht das Alpha und Omega! Jeder Dimplomand muss kollaborativ mit dem Bibliothekar die Metadaten, Abstracts oder Beschlagwortung mitgestalten können. Auch Bibliothekare können irren! (Wer es mir nicht glaubt sollte in LOC nach „Paccem in Terris“ suchen – in jeder Antwort ist ein anderer der Autor.) Die irrige Annahme, dass die „verstaubten Männer und Frauen zwischen den Regalen“ es besser können, hängt mit veralteten Erfassungsregeln zusammen. In einer Zeit, in der Vorname ebenso wie Nachname bloß ein Schriftzug war und nur vom Menschen zu unterscheiden, ist längst vorbei! In einer Datenbank kann es den Vornamen, die Zweitnamen, den Nachnamen und einen Namenszusatz geben. Jedes davon ist eine Art für sich! Wenn also der Benutzer ein Buch in die Datenbank eingibt (z.B. weil er es für relevant hält), dann muss er nicht in mißverständlichen Paragraphen des RAK stöbern, sondern gibt unter Vorname den ersten Vornamen ein. Den Autor natürlich unter Autor, Herausgeber unter Hreausgeber und Übersetzer unter Übersetzer. (Es ist intuitiv und genau zugleich.) Er verfasst einen kurzen Abstract und beschreibt die Facetten des Buches mit Hilfe von Stich- und Schlagwörtern. Das Feld „DDC“ überlässt er dem fachkundigen Bibliothekar.

Als Ergebnis bekommen wir eine Art Buch-„Wikipedia“ samt Suchmaschine und Tag-Wolke. Das erinnert jeden an „Web 2.0“. Ein Kummerkasten für Verbesserungsvorschläge schafft das nicht!

Hier einige Seiten, die sich mit der Bibliothek zweiter Generation beschäftigen:

http://www.bibliothek2null.de/ – ein Blog „um die Bibliothek herum“, sprich: nicht die Bibliothek als solche ist im Zentrum, sondern die modernen Technologien, die in ihr genutzt werden (könnten) wie Software etc.

http://bibliothek.terapad.com/ und http://www.buzinkay.net/blog-de/2008/02/library20/ sind Blogs, in etwa gleich Technik-scheu sind und Bibliothek 2.0 in der Veränderung der Prozesse und Hinwendung zum Kunden sehen (also genau das, was man schon zur Zeit Goethes in den meisten Bibliotheken vermisst hat). Die zweite Seite glaubt dabei eine Rezension von Casey Savastinuk’s Buch „Library 2.0“ zu sein. Die erste rezensiert wiederum die zweite und http://www.blyberg.net/2008/01/17/library-20-debased/. Diese Seite ist wohl die „Wurzel allen Übels“. Hier versucht John Blyberg diesen Begriff auf ein Minimum an Technik und ein Maximum an „Prozessoptimierung“ zu bringen. Ich frage mich ob er nicht zufällig BWL statt Informationswissenschaften studiert hat… Im Anschluss an seinen Artikel eine geniale Kommertar-Diskussion.

http://eprints.rclis.org/archive/00012429/02/DigitaleBib011106.pdf – [ = Danowski, Patrick and Heller, Lambert: Bibliothek 2.0 – Die Zukunft der Bibliothek?. Bibliotheksdienst 40(11). S. 1259-1271.] Ein empfehlenswerter Artikel über die technische-, soziale- und bibliographische Aspekte der Bibliothek 2.0. Sparsam mit „2.0“ aber visionär. (Leider mit „Zitaten 1.0“ – da muss sich jemand über die Funktion der Perma-Links informieren).

http://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Bibliothek_2.0&oldid=41660629 – die besagte „Definition“ (oder eher ihr Ansatz) in der von mir beanstandeten Version auf de.wikipedia.org

Und natürlich die zitierte Version von „Web 2.0“ aus wikipedia http://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Web_2.0&oldid=43738391