Die Empirie als Wahrheitskriterium

Es gibt einen neuen Anlass, die plumpe Art und Weise der Wahrheitssuche – wie wir ihr immer wieder in den Medien begegnen – an den Pranger zu stellen. Bevor wir an den Anführer dieser naiven Weltanschauung zu sprechen kommen, möchte ich einen Mann vorstellen, der im Zusammenhang mit dieser Situation durchaus interessantes zu sagen hat…

Mein Professor für dogmatische Theologie Józef Niewiadomski hat gerne einen adventlichen Katalog einer großen „Edel-Supermarkt-Kette“ während seiner Vorlesung herumreichen lassen und erzählte zu diesem folgendes: Es möge sein, dass man früher im einfachen Volk glaubte, durch den Kauf von Devotionalien, Ablässen etc (also das Ausgeben des Geldes) das Heil der Seele erwerben zu können. Heute gäbe es keine Seele und kein Jenseits. Deshalb kaufe man sich das Heil für Diesseits. Dabei entsprächen die Weihnachts-Kataloge der Supermärkte den bunten Heiligenbildchen, die die Geistlichkeit früher den Gläubigen verschenkte. Statt Ablaß gäbe es die Verjüngungskur oder Vitaminbrause.

Diese Idee hat viele von uns – seinen Studenten – geprägt. Sie ist genial und berücksichtigt dabei die neuste Forschung der Psychologie. Der Mensch sucht sein Leben lang nach einer Art Erlösung. Er will aus dem mit eigenen Fehlern zugepflasterten Alltag heraus, in eine Welt, in der man jünger statt älter wird etc…

Dieses Bedürfnis drängt uns Menschen zu Sachen, die so weit weg von unseren alltäglichen Bedürfnissen entfernt sind, dass es fast sinnlos erscheint. Ein gutes Beispiel dafür ist die Astronomie: Was bringt mir morgen früh das Wissen, aus welchen Gasen sich unsere Sonne zusammensetzt wenn es eh regnet? Oder: Wie hilft es einem leidendem Menschen, dass er um die Entstehung der Kometen weiß? Gar nicht. Wenn man berecht welche Geldmengen in die Atom-Forschung oder die Astronomie fließen, muss man eindeutig zu dem Schluss kommen: Mit diesem Geld hätten wir erfolgreich den Hunger in allen Ländern dieser Welt bekämpfen können! Doch wir sind zu forschungsgläubig. Dabei wurde „die Forschung“ (also das, was die meisten Menschen mit dem Wort „Forscher“ verbinden) bis auf Physik und Chemie kastriert. Es ist anscheinend völlig irrelevant, wie eine Gesellschaft mit ihrer Spaltung in Arm und Reich umgehen soll oder wie man effektiv Depressionen (und damit oft Selbstmord) im stressvollen Alltag bekämpft – und das als Arbeitnehmer und als Arbeitgeber.

Diese Verkürzung der Wissenschaft auf die empirisch-physikalischen Wissenschaften hat schon lange „in meinem Schuh gedrückt“. Seit einigen Tagen habe ich aber auch einen Grund und die innere Notwendigkeit, zu zeigen, dass Empirie alleine die Wahrheit sogar verdunkeln kann und nicht über anderen Wissenschaften steht. Davon wissen aber die meisten jungen Physiker gar nichts. Ein Beispiel dafür ist ein diplomierter Physiker, der mit dem folgenden „Witz“ durch etliche deutsche Talk-Shows kreist:

Es geht um Bier im Kühlschrank. Wie stellen unterschiedliche Menschen fest, ob sie wirklich Bier im Kühlschrank stehen haben?

  1. Der Physiker geht an den Kühlschrank und schaut rein.
  2. Der Theologe behauptet, er hätte Bier im Kühlschrank, ohne an den Kühlschrank zu gehen.
  3. Der Esoteriker behauptet, er hätte Bier im Kühlschrank, obwohl er weiß, dass er keines hat.

Auf diese Art und Weise dargestellt erscheint der Theologe auf den ersten Blick wie ein kleiner Idiot. Dabei ist der Physiker das naive Kind. Dieser prüft lediglich, ob in seinem Kühlschrank Flaschen zu finden sind, die Bier enthalten könnten. Ob dies wirklich der Fall ist, weiß er nicht. Wenn er sicher gehen wollte, müsste er jede Flasche aufmachen und daraus probieren. Damit kann ein Physiker mit Sicherheit unzählige offene Bierflaschen im Kühlschrank stehen haben – wenn der Inhalt auch tatsächlich Bier ist und nicht nur so schmeckt.

Der Theologe braucht ja gar nicht an den Kühlschrank zu laufen. Er arbeitet mit Verstand und Vertrauen. Er vertraut dem Geschäft, in dem er seine Bierflaschen gekauft hat, sowie dem Brauhaus. So kann er behaupten, in seinen Flaschen wäre Bier drin. Ob diese auch in seinem Kühlschrank noch zu finden sind kann er mit reinem Verstand erkennen: Wenn niemand außer ihm in der Wohnung war und er selbst das Bier nicht getrunken hat, dann muss noch welches im Kühlschrank zu finden sein. Natürlich glaubt er dem Physiker, welcher behauptet, dass in der Natur keine Materie verschwindet (außer bei atomaren Kernspaltung – die ja nie im Kühlschrank stattfindet). So erspart sich der Theologe den Weg zum Kühlschrank, während der Physiker vor der Kühlschranktür besoffen auf dem Boden liegt und die angebrochenen Flaschen zählt :-)

Und die Moral von der Geschicht? Dem Physiker kann man glauben oder auch nicht!