Gerade gestern an Christi Himmelfahrt stand eine sehr spannende zweite Lesung zur Auswahl. Darin enthalten war die folgende Stelle:
Und er setzte die einen als Apostel ein, andere als Propheten,
andere als Evangelisten, andere als Hirten und Lehrer, um die Heiligen für die Erfüllung ihres Dienstes zuzurüsten, für den Aufbau des Leibes Christi, bis wir alle zur Einheit im Glauben
und der Erkenntnis des Sohnes Gottes gelangen, zum vollkommenen Menschen, zur vollen Größe, die der Fülle Christi entspricht.Eph 4, 11-13
In den protestantischen Freikirchen ist es üblich, von „Diensten“ zu sprechen. Wir – Katholiken – haben da eher ein gespaltenes Verhältnis zu. Die Propheten sind ausgestorben, die Evangelisten kurz danach und Hirten sind sowieso nur hauptamtliche Angestellten der Kirche. So weit die allgemeine Vorstellung. Die Bibel ist nach dieser Vorstellung auch nur eine Geschichte mit einer Prise Weisheit und Dichtung.
Die Bibel sagt aber in Heb 4,12 über sich selbst:
Denn lebendig ist das Wort Gottes, kraftvoll und schärfer als jedes zweischneidige Schwert; es dringt durch bis zur Scheidung von Seele und Geist, von Gelenk und Mark; es richtet über die Regungen und Gedanken des Herzens;
Also nicht bloß eine Geschichte. Wenn es also lebendig ist, dann muss es etwas geben, das in unserer Zeit Wirkung zeigt oder eine Beziehung zu unserer Realität hat. Diese Dienste sind solche „lebendigen Wesen“. In einer veränderten Form existieren sie bis heute.
Das Wort „Dienst“ meint nicht eine Beschäftigung, der man gegen Bezahlung oder aus Zwang nachgehen muss. Vielmehr ist es eine „Rolle“ oder eine besondere Befähigung. Ein Dienst ist auch kein Amt, welches besondere Macht oder Rechte mit sich bringt. Man kann sich Dienste als besondere Konglomerate von Charismen vorstellen. Da ein Charisma immer ein Ziel braucht, um wirksam zu werden, hängt mit der Gabe immer eine Aufgabe – ein Dienst. Und weil es oft mehr als nur ein Charisma dafür braucht, schenkt Gott gleich ganze Packungen und stimmt diese auf die Natur des Beschenkten ab. Denn – wie schon Thomas von Aquin feststellte – die Gnade (Charismen = Gnadengaben) baut auf Natur auf. Ein schüchterner und ängstlicher Typ wird kein Leiter und ein Taubstummer kein Sänger.
Apostel Paulus beschreibt oft und gerne das Wirken des Heiligen Geistes in den Charismen. Und so scheint es auch hier zu sein: im Dienst des Propheten finden wir nicht nur die Prophezeiung, sondern auch Träume und Visionen, die bei den Propheten des Alten Testaments oft anzutreffen waren und allen zugänglich werden sollten. Der Evangelist verkündet allen die frohe Botschaft von der Erlösung – heute fachlich als Kerygma beschrieben. Den gleichen apostolischen Eifer weist (welch ein Wunder!) der Apostel, der Gemeinden gründet und dafür sorgt, das sie genügend „Futter“ für das geistliche Leben haben. Den „Chef-Evangelisten“ kennen heute vor allem die IT-Unternehmen: es sind Menschen, die eine bestimmte Technologie beherrschen, lieben und vor allem anderen schmackhaft machen wollen – und das nicht bloß als Job, sondern aus Begeisterung. Die Apostel sind eher die Organisatoren, Projektleiter und geistliche Väter ihrer Gemeinden, die sie wie eigene Kinder lieben. Die Unterweisung eines Apostels ist aber noch etwas anderes als die des Lehrers, der sehr exakt und tiefgründig die Details ausgebreitet, zueinander in Berührung setzt und dafür viel liest und grübelt. Er beherrscht das Wissen, das man für das Erkennen der Zusammenhänge und das Erkennen von Fehlern braucht. Der Hirte ist ein „introvertierter“ Dienst, der eher nach dem Zusammenhalt einer bestehenden Gemeinschaft trachtet. Gastfreundschaft und Empathie sind die Segen für diesen Dienst. Ein Hirte sorgt für das Wohlergehen und den Fortbestand der eigenen Gruppe. Seine Wirksamkeit als Evangelisator oder Prophet tendieren gegen Null.
Ist das alles?
Hier und da tauchen in der Bibel Begriffe wie Diakon oder Priester auf. Warum nicht hier? Ja, das frage ich mich auch. Diakon als Versorger der Armen und der Notleidenden ist ein wichtiger Dienst. Auch das braucht ein eigenes Charisma, bei den Menschen zu bleiben, vor denen die meisten flüchten. Ich glaube, das dieser Dienst in unseren Gemeinden nie in Reinform vorkommt. Wie die meisten Dienste kommt auch der nie alleine vor.
Etwas spannender ist die Sache mit Priestern. Gemeint sind damit nicht die geweihten Sacerdotes, sondern diejenigen, die wie im alten Testament im Namen des Volkes vor Gott Opfer bringen durften. Man schlachtet dazu keine Tiere mehr und legt das Fleisch auf das Feuer. Das Opfer besteht heute aus sich selbst. Zu meiner Jugendzeit haben viele charismatische Gruppen Mitglieder gehabt, die kaum an den Treffer teilnehmen konnten. Es waren schwer kranke Menschen, die durch Gebet und Fasten die Arbeit der Gruppe unterstützt haben. Ihr Leiden war nicht wertlos oder unnötig. Es war ein Opfer, die einen Sinn hatte. Heute scheint man nicht zu wissen, was man mit diesen Menschen anfangen soll, wenn sie zu schwach für die Gruppentreffen sind. Man verabschiedet sie wortlos aus der Gemeinschaft.
Haben die Dienste Nachteile?
Ja. Da sind so einige Fallen. Ein Evangelist, der die gewonnenen Menschen nicht dauerhaft begleitet, bringt sich um den Erfolg. Ein Apostel denkt manchmal in Kategorien und spricht Dinge aus, die anderen Angst machen und sogar militanten Widerspruch auf sich ziehen, weil sie diese Dinge nicht kennen oder sich gar nicht vorstellen können. (Ein wenig bekanntes Ereignis aus Apostelgeschichte 14: die Juden in Antiochia haben auf Paulus und Barnabas einen solchen Hass, dass sie ihn steinigen, was Paulus überlebt.) Manchmal sagt die Bibel sogar sehr exakt, was mit einer Gemeinschaft nicht stimmt:
Wehe den Hirten Israels, die sich selbst weiden! Sollen die Hirten nicht die Herde weiden?
Hesekiel 34,2
Wenn eine Gruppe mehrheitlich aus Hirten besteht, ist sie dem Untergang geweiht. Denn ohne Neumitglieder stirbt jede Gruppe. In der heutigen Zeit ist es immer schwerer Menschen zu gewinnen und zu begeistern. Ein einziger kommt da schnell an seine Grenzen. Wenn jemand sagt: „für mich reicht das“ macht er sich selbst zum Ziel seines Tuns. Wenn die Hirten sagen „das reicht uns so“, ist die Gruppe zum Ziel geworden und nicht Gott.
Was ist das Gute an dem Konzept der Dienste?
Manche Menschen haben auch in den charismatischen Gruppen große Angst vor Charismen oder wissen nicht, wie sie diese zum Einsatz bringen sollen. Mit einem Dienst wird die Aufgabe klarer und die damit verbundenen Charismen. Denn die Gabe und die Aufgabe gehören zusammen. Es nimmt den Druck heraus und stellt einen Auftrag vor Augen, der Kreativitägt erfordert. Damit kommen auf natürliche Weise die Charismen zum Einsatz.
Es ist viel einfacher, eine Aufgabe für sich zu entdecken und sich dafür einzusetzen als eine außergewöhnliche Gabe aus biegen und Brechen einsetzen zu wollen. Wenn man für etwas brennt, setzt man alle seine Fähigkeiten ein. Dadurch aktiviert man auf natürliche Weise die Charismen, die in einem Schlummern.
Hat das für uns Katholiken eine Bewandtnis?
Bisher ging es immer um Protestanten und pfingstlich bewegten Menschen. Aber der Heilige Geist man vor den katholischen Kirchentüren keinen Halt. Deshalb hat Papst Franziskus als Anliegen für Februar der ganzen Kirche die Aufgabe gegeben, zu beten, dass die Charismen eines jeden von den Hirten der Kirche erkannt und zum Einsatz gebracht würden. Da hat er Recht. Daran krankt die katholische Kirche in Deutschland besonders stark.