„als ob“, „so gut wie“ – Philosophen und die Lehre vom Sein

Der österreichische Philosoph Ludwig Wittgenstein stellte die These auf, dass unsere Sprache das beste Werkzeug zur Erkundung unserer Welt sei. Wenn wir über die Welt nachdenken, tun wir das in Begriffen, die mit Worten in unserer Sprache übereinstimmten. Mann nennt es in den Fachkreisen die „Abbildtheorie der Sprache“. Die Sprache spiegle die Welt – so wie sie ist – wider. Man kann ihm beipflichten oder die Zustimmung (wegen der vielen Ungenauigkeiten oder der unterschiedlichen sprachlichen Abbildung – je nach Sprache) verweigern. Unbestritten ist, dass diese Idee einen guten Kern hat. Deshalb – finde ich – sollten wir auf unsere Sprache mehr achten, zumal es aktuell in Deutschland viel emotional diskutiert und wenig reflektiert wird.

Einer der ältesten und bekanntesten Philosophen der Grieche Plato entwickelte eine Idee, die wir nur in den Schriften seiner Nachfolger finden. Sie ist einfach und bietet einen guten Grundsatz zum Umgang mir unseren natürlichen Sprachen, die von Unschärfen geprägt sind. Die Emanation, weil so wird sie bezeichnet, meint das Verströmen des Einen in das Viele, vom Original in die billigste Kopie, vom Guten bis hinein in das gerade noch akzeptable.

Der Realismus, zu dem Plato gehört, geht davon aus, dass die Begriffe unserer Sprache – aber auch die, die unserer Sprache fehlen – immer eine Entsprechung in den Dingen (in unserer Welt) haben. Ein Hammer ist jedem hinreichend bekannt. Jeder hat so etwas gesehen, in der Hand gehabt und vielleicht auf eigenem Finger schon einmal gespürt. Aber was ist mit Liebe? Wer hat die Liebe gesehen? (Nicht das Küssen oder andere körperliche Akte sind dabei gemeint, sie sind ja eigene Begriffe.) Was ist mit dem demographischen Wandel? Schon mal einen solchen in der Hand gehabt? Oder: Gott? Realisten gehen davon aus, dass die Begriffe immer etwas umfassen, was sie sichtbar oder unsichtbar realisiert. Entweder ist ein Hammer ein Hammer (also das Ding entspricht  dem Begriff) oder auch nicht. Doch vor Allem ist es die Idee, was ein Hammer sei, nicht beliebig. Sie bleibt unveränderlich.

Ganz anders die Nominalisten, die sich mit bloßen Lautfolgen zufrieden geben. Es gibt nicht den Hammer, sondern nur Dinge die wir Hammer nennen. Und was wir als solchen bezeichnen bleibt uns überlassen. Es gibt ja auch nicht die Liebe. Nur bestimmte Verhaltensweisen, die wir als Liebe bezeichnen. Und eine sich verströmende Ur-Liebe gibt es schon mal gar nicht, weil es keine passende Verhaltensweise dazu gibt. Vom einzelnen ausgehend bilden die Nominalisten durch Abstraktion minimale Schnittmengen an Eigenschaften, die ein Ding erfüllen muss, um ein Hammer zu sein. Diese abstrakte Schnittmenge kann dabei beliebig weit vom eigentlichen Ding, dass es bezeichnet, abweichen.

Was würde also Plato über unseren Hammer sagen? Es gibt die Idee des Hammers, die ihn so begreift dass er sowohl in seiner Funktion („gezieltes und kräftigen Draufhauen“), seiner Beschaffenheit („aus festem Stoff“) als auch seiner Form („aufgesetzt auf ein Verlängerungsstück, das auch als Griff verwendet wird“) perfekt umschrieben wird. Die Handwerker und Bauleute werden hoffentlich protestieren, wenn wir den „Hammer“ auf einen Metalwürfel auf einem Holzstiel zusammenfassen. Der Stiel ist bei Dachdeckern aus Metal und mit Gummi am Griff-Ende beschichtet. Beim Verlegen von Paneelen wird der Vorschlaghammer mit einem nicht ganz so harten Gummi-Kopf und im Gericht gar ganz aus Holz verwendet. Um es noch komplizierter zu machen, muss man noch erwähnen, dass eine Ramme (Maschine zum eintreiben von Pfählen in den Boden) ein überdimensionierter Hammer sein könnte, wenn wir nur Funktion und Beschaffenheit in Betracht zögen. Für Plato alles kein Problem! Die Idee des Hammers wird in den Dingen widerspiegelt. In den einen stärker und in den anderen schwächer. Das hat nichts mit der moralischen Wertung zu tun. Eine Ramme ist für ihr Zweck genauso gut, wie der Richter- oder Auktionshammer für seinen Zweck. Nur realisieren sie die Idee des Hammers unterschiedlich stark.

An dem Punkt können wir zu unserer Sprache zurückkehren. Dabei meine ich die natürliche Sprache, die sich mit der Zeit geringfügig ändert und die jeder von uns verwenden kann. (Eine Kunstsprache – wie sie von Juristen, Chemikern oder Philosophen verwendet wird – lehnt Wittgenstein als Basis für das Nachdenken über unsere Welt kategorisch ab. Eine solche kannte Platon sowieso nicht.) Unsere Sprache ist von Unschärfen geprägt und hält einem absoluten Realismus nicht Stand. „Wann ist ein Mann ein Mann“ – fragt rhetorisch Grönemeyer. „Bist du ihr Freund? (Und wenn ja in welchem Sinne?)“ könnte man einen jungen Mann neben einem Mädchen fragen… Hier ist uns die Idee der Emanation sehr hilfreich. Kein entweder-oder, sondern ein „in wie weit übereinstimmend“.

Es gibt aktuell die Unsitte in unserer Gesellschaft, aus dem Halben ein Ganzes zu machen. Es wird dramatisiert und schön geredet. Vor allem die Rundfunkmedien scheinen hier die Objektivität zu verlieren, indem sie nach Belieben auf- und abrunden. Einige Beispiele aus unserem Leben: Eine 2 in Mathe ist so gut wie eine 1, nur halt eben etwas weniger. Wenn paar besoffene Glatzköpfe mit der Sprühdose ihre geometrisches Lieblingsfigur überall verewigen, dann ist das so gut wie ein staatsfeindlicher terroristischer Anschlag. Wir können es nicht mehr objektiv auf einer Skala einstufen. Kein Wunder. Schon Neil Postman erkannte, dass die Massenmedien, um Informationen zu verkaufen (und sich selbst dabei beliebt zu machen) aus Informationen Unterhaltung machen – das Infotainment. Und emotionale Botschaften sind einem nicht so egal, wie die bloße Nachricht, dass an diesem – wie auch an jedem anderen Tag – mindestens 3 Menschen an Hunger gestorben sind.

Bei jungen Zeitgenossen ist die Vorstellung verbreitet und sehr beliebt, dass alles nach der Funktion zu beurteilen sei. Eine Art ontologischer Pragmatismus. (Es kann auch damit zusammen hängen, dass unsere Arbeitsweise sehr funktional geworden ist. Programmieren ist das definieren von Funktionen, die aus A auf beliebigen Weg B machen. Die beliebte Kulanz der Unternehmen soll die Wahrheit nicht ans Licht kommen lassen – es geht nur ums Verkaufen und Kunden Zufriedenstellen, nicht um Prinzipien.) Wir tun so als ob A identisch mit B wäre. Der Mann als ob er Frau wäre und eine Weiße mit deutschen Wurzeln als ob sie eine unterdrückte Schwarze wäre. Warum auch nicht? Die Frau hat dunkelhäutige (Adoptiv-)Kinder und engagiert sich auch für die Rechte der anderen Rasse.

Der Kommentator der Bild-Zeitung Ralf Schuler hat mich darauf Aufmerksam gemacht (Vorsicht, hier folgt mein erster Link zur Bild in meinem Leben):

Wer alle Autos Mercedes nennt, schadet dem Mercedes und hilft den anderen nicht.

Ich will keinen klapprigen Fiat vom Autohändler angedreht bekommen, nur weil dieser ihn funktional (vier Räder, fährt, macht Brüm-Brüm) für einen Mercedes hält. Dieser Als-Ob-Mercedes ist kein Mercedes, auch wenn man ihm den Stern aufgeklebt hätte! Er hat vielleicht nur etwas mit diesem gemeinsam.

Der Hintergrund des Zitates ist den meisten klar: Kann alles eine Ehe sein? Ja. So wie eine Pfanne ein Hammer ist. Man kann (funktional) mit einer Pfanne Nägel in die Wände schlagen (habe es selber überprüft). Ein Nominalist tut sich damit leicht: „Ei, jo. Nennen wir halt auch dieses Ding Hammer.“ Wittgenstein hätte nur den Kopf geschüttelt und um seine schöne Sprache geweint. Plato würde sagen: In einem weit entferntem Sinne realisiert auch die Pfanne die Idee eines Hammers („aus festem Stoff mit Verlängerungsstück als Griff und zum Draufhauen auch geeignet“). Es ist nicht „der Hammer“ und es würde nur Verwirrung stiften, wenn wir in der Küche auf einmal ein Spiegelei auf einem Hammer braten würden… Aber wer es will, kann von mir aus zur Pfanne „Hammer“ sagen. Ich würde es nie tun. Es wäre nur ein heilloses Durcheinander in der Küche und in der Werkstatt…

Man kann sich im Leben vieles vormachen. Man kann glauben, eine Hofdame aus dem Mittelalter zu sein und so tun als ob es so wäre. Man kann so gut wie ein Superman gekleidet und von Passanten bewundert werden. Man bleibt, was man ist. Nicht mehr und nicht weniger.

Ich würde – wie unsere saarländische Landeschefin – den Begriff der Ehe auf jeden Fall schützen. Ehe ist Ehe. Sie kann (ihrem Wesen nach) auf natürlichem Wege Kinder „erzeugen“ und so die Blutsverwandschaft gründen. Sie ist – und das haben bisher alle Studien bewiesen (z.B. diese) – der optimale Rahmen für die emotionale, geistige und körperliche Entwicklung der Kinder. Es gibt kinderlose Ehen, Adoptivkinder oder Ehen, in denen Kinder misshandelt und gestorben sind. Diese konkreten Fälle realisieren nur zum Teil die platonische Ideen der Ehe und der Familie. Es soll auch vereinzelt andere Konstellationen geben, die funktional für die Kinder besser sind als übliche Familien. Oder Paare die wie eine Ehe funktionieren (z.B. unter Geschwistern). Beide zuletzt genannten ahmen die Ehe nach und nähern sich dem Original. Die Abstufung ist keine moralische, sondern eine ontologische. Deshalb ist es völlig in Ordnung, zu sagen: A, B und C realisieren die Idee der Ehe (mit kleinen Einschränkungen), D, F und H tun nur so „als ob“ und imitieren sie teilweise – sollen aber nicht als solche bezeichnet werden. Denn wenn wir uns auf den Nominalismus einlassen, kann wirklich alles eine Ehe sein. Einzig Plato mit seiner Emanation (zusammen mit seinem Schüler Aristoteles mit seinen „Wesenseigenschaften“) können hier eine zufrieden stellende Antwort liefern. Denn die Grenze müssen wir irgendwo ziehen und Nominalisten bieten nur Beliebigkeit und (folglich) Willkür an.