Warum nennen wir eigentlich Facebook, Twitter & Co. sozial? Wenn „sozial“ eine allgemeine Teilnahme bedeutet, dann müssten Straßenkehren, Wahlen oder Streiks auch sozial sein. Verstehen wir „sozial“ als „Second Life“ unserer Gesellschaft, dann führen wir dort ein seltsames Leben: ohne unsere Großeltern und unsere Kinder. Zu „Freunden“ werden Menschen, die wir auf der Straße nicht einmal immer grüßen.
Es ist unerklärlich, dass 90% der Nutzer von Facebook nichts vom Datenschutz des Unternehmens halten und gleichzeitig geben sie ständig neue Daten ein. (Am meisten regt mich persönlich auf, dass die selbsternannten Hüter des Heiligen Graals des Journalismus – die öffentlich-rechtlichen Sender gerade bei dieser Datenkrake zu jeder Sendung eine Seite gründen.) Auch die Warnrufe des Vorsitzenden des Bundesverfassungsgerichtes verhallen ungehört. Andererseits regen sich alle auf, dass man Daten über sie sammelt und verarbeitet (und das oft zurecht). Wie passt das zusammen?
Ich vermute, dass wir bei dem weichen und so smarten Begriff „sozial“ an das Rote Kreuz oder die Errungenschaft der Arbeiterbewegung denken. Nicht an „Internetblase“, „Überwachung“, „Eitelkeit“ oder „Realitätsflucht“. Was ist am „Profit mit fremder händer Arbeit“ oder einer realitätsfernen „Selbstdarstellung“ sozial? Warum soll Twitter oder Google+ der Gesellschaft nützlich sein?
Die Internetnetzwerke sind an sich nicht schlechtes. Sie sind ein weiteres Kommunikationsmedium, welches sich aus Foren, Mailinglisten und Newsfeeds in einer Evolution „ergab“. Mit anderen Worten ein weiteres Kanal für Informationen zwischen einzelnen wie mehreren Teilnehmern: bidirektional und multimedial – alles an einem Ort. Dies kann sehr nützlich sein, wie die ersten Fahndungserfolge über Facebook beweisen. Schlimmer wird es, wenn ein Netzwerk von Nachbarn an einem Fahndungsbild (egal wo) einen neuen Mitbewohner als Pädophilen zu erkennen glaubt. Dann glühen die Online-Pranger!
Bei allen Vorteilen, die die Kommunikation über so ein „reiches“ Medium bietet, soll auch der kritische Blick von Neil Postman nicht fehlen. Die Kritik können wir dem Kapitel über die Erfindung des Telegraphen entnehmen: Je unvollständiger und unverbndlicher ein Kommunikationskanal wird, umso banaler wird in großen Mengen berichtet. Irgendwann verstopft dieses Kanal (die Aufnahmefähigkeit des/r Leser ist eben begrenzt). Das Wichtige und das Unwichtige prallt auf einen Leser ein, der nicht mehr weiß, was er noch wahrnehmen soll…
Die ersten Beobachter sprechen schon vom Platzen der „Social-Media-Blase“ in den nächsten Jahren. Am besten hat mir jedoch die Äußerung von Bernhard Strohm im Internet Magazin gefallen. Der Tenor: „Facebook ist Unterhaltung auf Bierzeltniveau.“ Ja, das passt! Vom G+ kann ich das nicht sagen. Auch da kann man sich mit Informationsmüll zuschütten lassen (diese Möglichkeit steht jedem frei) oder an digitalen Stammtischdiskussionen über die Kosten des Papstbesuches beteiligen (muss man aber nicht!). Mangels sog. Write-API, über welche die Marketing-Abteilungen mit einem Klick ihre Leser mehrfach in der Woche mit Informationsabfällen versorgen, ist der Aufwand höher und die Beiträge etwas „echter“als in Facebook. Dies kann nicht zuletzt auch daran liegen, dass die Beiträge im Google+ gerne länger sein dürfen und das Publikum genau das erwartet (Klasse statt Masse).
Wenn Neil Postman heute leben würde, würde er nur bloggen. Und wenn er einmal nicht ganz so kritisch wäre, würde er sich aus Neugier vielleicht G+ oder die Friendica mal genauer anschauen…