Wir Menschen sind voller Widersprüche. Wir geben es nur nicht gerne zu. Manchmal entwickeln wir paranoide Ängste oder tun so, als hätten wir das zuvor gesagte Wort nie ausgesprochen. Man muss dafür nicht krank sein. Gewisse Verhaltensmuster sind – wie das „Irre“-Buch von Manfred Lütz beweist – in jedem Bürger (aber vor allem in der Politik) gut zu erkennen. Ein gutes Beispiel dafür sind die seit Jahrzehnten anstehende Gesundheitsreform und das geforderte Gesetz gegen StreetView von Google (und vielleicht gegen Google selbst).
Fangen wir doch mit dem ersten an. Eine Solidargemeinschaft, der ständig das Geld auszugehen droht, leistet sich eine Deckelung der Beiträge der sehr gut bezahlten Angestellten, während die breite Masse der Mitglieder immer weniger verdient und somit immer weniger einzahlt. Seltsam, aber man kann es irgendwie verstehen: die „Reichen“ sollen nicht alle „in die Private“ abwandern (was ja schon ab ca 50 000 € Jahresbrutto über drei Jahre hinweg möglich sein soll). Als das Solidaritätsprinzip durch Einführung von „Kopfpauschalen“ (einkommensunabhängigen Pauschalbeträgen) wegen des Wiederstandes von CSU nicht gebrochen werden konnte, hat man sich auf die Wechselbedingungen zurück erinnert… Jetzt soll der Ausstieg aus der Solidargemeinschaft erleichtert werden? Statt für mehr Geld im System zu sorgen, ist man für weniger leistungsfähige Beitragszahler? Entweder habe ich es im Radio und Fernsehen jedes mal missverstanden oder es liegt hier ein Fall von politischer Schizophrenie vor.
Auch das Bundesverfassungsgericht sucht die reine juristische Gerechtigkeit und heizt so teils die demografische Fehlentwicklung an: Wer in einer eingetragenen Partnerschaft ein schönes kinderloses Leben führt, hat dieselben Rechte im Steuerwesen wie Ehen und Familien. So weit – so verfassungsgemäß. …Wenn nicht eine Kleinigkeit. Die Kosten der Pflege im Alter lasten auf den Schulter der jungen Generation, die in Ehen und Familien erst mühevoll gepflegt und erzogen werden muss. Soll man also hinnehmen, dass die „teuren Investitionen in die eigene Zukunft im Alter“ mit denjenigen geteilt werden müssen, die ihr Leben lang nur auf die Rechte einer Ehe bzw. Familie gepocht, sich aber vor dieser Verantwortung gedrückt haben? Oder darf man mehr ausgleichende Gerechtigkeit fordern? Müssten die Rechte nicht mehr an der tatsächlicher „Investition ins Gemeinwohl“ ausgerichtet sein? Sieht so die Strategie gegen den demographischen Wandel aus? Dabei geht es nicht bloß um’s Geld. Das Wahlrecht aller Bürger (auch der noch nicht volljährigen – die durch ihre Eltern vertreten wären) ist eine sehr interessante Geschichte: Über die Zukunft des Landes enschieden diejenigen mit, denen die Zukunft auch gehört. Ist es nicht etwas schizophren und ungerecht, wenn ein Greis, der die Auszählung seiner Stimme nicht mehr erlebt, bestimmen darf, während ein 12-jähriger die Folgen solcher Entscheidung womöglich über Jahrzehnte tragen muss?
Nicht anders sieht es im „Lex Google“ aus. Die panische Angst vor Google, den wir so toll finden, dass wir kaum noch eine andere Suchmaschine im Internet kennen, ist maßlos und krank. Wir wollen andere im Netz finden, dort aber selber nicht gefunden werden. Die Paranoia, dass Google über uns bestimmen könnte, nur weil unser Auto vor unserem Haus steht, hat dann ihren Höhepunkt erreicht, wenn man bedenkt, dass die meisten ohne Angst eben bei Google über ihre Medikamente recherchiert. Wir installieren Software auf unseren Rechnern, von denen wir keine Ahnung haben, was sie wirklich tut. Wir haben Angst vor Cookies, sind aber alle unter echtem Namen in Facebook zu finden. Wir ärgern uns über unerwünschte Werbeanrufe, aber melden es nicht bei der Bundesnetzagentur. Wir wünschen uns statistische Daten, aber keiner will den Mikrozensus freiwillig mitmachen.
Wenn man bedenkt, welche Daten im Mokrozensus gefragt werden, muss es einem Angst und Bange sein. Man kann mit etwas Kenntnis der Lebensumstände einer Person (Arbeitgeber, Stand, Ort und Zahl der Kinder) anhand von 3-4 Fragen mit einer 100%tigen Sicherheit sagen, ob derjenige das Formular ausgefüllt hat oder nicht. Google könnte bestenfalls nur blind raten. Google fragt sie nicht, wie viel sie verdienen. Google ist es egal, ob sie mit ihrem Ehepartner in einem Haus leben. Google ist es wurscht, ob sie Arbeitslosengeld bezogen haben oder sonstige Leistungen vom Staat bekommen. Warum soll man verhindern, dass die Fassade des Hauses nicht erkennbar sein soll? Die lustigste Begründung, die ich gehört habe ist: „Damit ein Dieb das Haus nicht im Voraus auskundschaftet.“ Hmmm… Kennen sie einen Dieb, der seine Hauseinbrüche per Internet vom anderen Ende der Republik her plant? Würden sie einen Dieb überhaupt erkennen, wenn er vor ihrer Tür stünde?
Es ist notwendig, dass Google gewisse Informationen über sie speichert. Wenn sie stets nach „Bau“, „Architektur“ und „Bergfried“ suchen, wird Google schon erkennen, dass mit „Schloss“ eine Burg gemeint war, statt sie dumm zu fragen: „Meinten sie das Synonym zum Absperrvorrichtung?“ Stellen sie sich vor, sie fahren durch Paris: würden sie lieber eine schematische „in etwa „-Darstellung bevorzugen oder eine markierte Linie auf einem Foto? Manchmal muss es eben sein. Es muss bei weitem nicht alles sein. Die Höhe der Kamera, der (sehr seltene) Blick in die Räume hinein oder die gut erkennbaren Personen sind zurecht bemängelt worden.
Ich könnte ebenfalls das Blog schließen und in Angst leben, dass mein Arbeitgeber irgendwas im Internet über mich fände, was ihm nicht gefällt. Die Deutschen gelten bei den meisten Nationen als die kleinkariertesten und nur wenig toleranten. Ich müsste ich es also fast befürchten… Doch ich tue es nicht. Politisch bin ich weder zu weit links noch rechts, ich habe eine Meinung, die auf Fakten und Überlegungen basiert. Wen sie nicht interessiert, kann auf die Wahrnehmung verzichten, ohne dafür zahlen zu müssen (ich bin kein öffentlich-rechtlicher Rundfunk). Ich bin meinem Arbeitgeber gegenüber loyal und eigne mir in der Freizeit Fähigkeiten an, die ich für meinen Beruf brauche. Ich bin am Arbeitsplatz sachlich und kollegial. Politik und Lebensweisen spielen für mich dort keine Rolle. Jeder Benutzer und jedes Problem hat anfangs immer die gleiche Priorität. Es gibt in meinem Blog kaum etwas, was mit meinem Beruf in Verbindung stünde. Vielleicht verrät mein Schreibstil, dass ich – abgesehen von kleinen Fehlern – ein ganz gutes Deutsch anzubieten habe und über einen weiteren Blick verfüge, als nur vom Bit zum Byte. Das war’s. Die paranoide Angst vor dem bösen allwissenden Internet habe ich nicht. Ich finde es gut, wenn Google manchmal „für mich denkt“ und die richtige Schreibweise sucht. Ich wünsche es mir, dass sie diese Zeilen lesen und nicht anderswo einen Haufen von Vermutungen mit den geläufigen Vorurteilen abgleichen. Wenn ich wüsste, wann das Google-Auto in meiner Straße erscheint, würde ich mich hinstellen und freundlich winken. Ich habe keine Angst davor, für meine Eltern, Freunde oder Bekannte in Google nach Medikamenten zu recherchieren: Ich kann gar nicht 30 Krankheiten auf einmal haben. Und diese Erkenntnisse sind ohne einen Namen auch für Versicherer uninteressant. Wenn ich mich vor zu viel Neugier schützen will, mache ich folgendes:
- im privaten Modus surfen (wenn es wirklich sehr privat sein soll)
- manchmal Cookies löschen
- öfters den Browser wechseln (Firefox, Chrome, Opera – niemals Internet Explorer)
- keine unbekannte Software installieren, OpenSource bevorzugen
- mehrere Anbieter nutzen (vor allem keine Software-Monokulturen bilden)
- mit mehreren Nicknames operieren
- Konten sozialer Netzwerke nicht miteinander verknüpfen
- niemals richtiges Geburtsdatum hinterlassen
- verschiedene E-Mail-Aliasse verwenden (ist ein Anbieter suspekt, wird nur dieser durch Abschaltung des Aliases ausgesperrt)
- keine gut erkennbaren Bilder (die Polizei freute sich bereits bei Arbeitskollegen bei der Zustellung von Knöllchen über derartige Amtshilfe)
- nur überlegte Meinungen schreiben und an Fakten ausrichten; notfalls Fehltritte löschen
Ich fühle mich im Internet wohl. Ich brauche keinen gesetzlichen Schutz vor Google & Co. Vielmehr vor einem Staat, der seine Gesetze auf der Grundlage von Paranoia-getriebenen widersprüchlichen Entscheidungen seiner Politiker bildet und selber den Datenschutz mit Füßen tritt.