Wer von uns kennt das Wort Jesu vom neuen Wein in alten, porösen Gefäßen nicht? (Matthäus 9,17) Es geht in diesem Abschnitt des Evangeliums um das Fasten als die Fortführung der Tradition der Jüngerschaft des Johannes des Täufers und der streng gläubigen Juden. Jesus antwortet – im Klartext gesprochen: Das Fasten als solches ist nicht falsch, wohl aber der Zeitpunkt, denn es gibt einen neuen Geist, der die alten Behälter sprengt. So würden der Geist und die Form beide verloren gehen, wenn man die überlieferte aber sinnentleerte Tradition aufzuzwingen versuchte.
Am 16. Januar brachte der Saarländische Rundfunk in der Lokalsendung „Aktueller Bericht“ einen fast euphorischen Beitrag über Wortgottesdienste, die von Laien geleitet werden. Die Sprecherin betitelte die Mängelverwaltung, wie sie de facto in die meisten deutschen Diözesen Einzug hält, als „die Stunde der Frauen“. Eine Lektorin und Kommunionhelferin (und Pfarrsekretärin in Personalunion) aus dem Bistum Speyer will nun mit bischöflichen Segen, dem Volk „das Wort Gottes auslegen“ – geschlechtergerecht, versteht sich! Der feministische Kampfgeist wird beschworen und die Erfahrung mit spirituellen Tanz als Alleinstellungsmerkmal bleibt nicht unerwähnt.
Ja, so sind die deutschen Meinungsmacher in den Medien. Sie suchen sich ihre Wahrheiten raus und präsentieren sie – bestreut mit dem Puderzucker der Niedlichkeit – dem ahnungslosem Volk als die Lösung par excellence. Dabei brodelt es im Kirchenvolk gewaltig. Meist unbemerkt von den Medien. Ein Gift der Enttäuschung und der Verbitterung breitet sich in der Menge aus. Schon die Tatsache, dass weder der Pfarrer noch der Diakon für die Beerdigung einer tief gläubigen alten Frau Zeit haben und eine Gemeindereferentin übernehmen soll, treibt die Kinder der Verstorbenen in die Hände von alt-katholischen (und „sonstwie-katholischen“) Priestern. Was würde wohl passieren, wenn sich überall die Pfarrsekretärinnen das Hirtenamt anmaßend dem Volk „das Wort Gottes auslegen“? Kann das der Weg der Kirche sein?
Tatsächlich ist die Leitung einer Laienliturie wie Wortgottesdienst, Stundengebet (mit dem offiziellen Namen: „das Gebet der Kirche“!), Rosenkranz oder Lobpreis weder an eine Weihe noch an ein Amt gebunden. Es spricht gemäß dem Kirchenrecht nichts dagegen, unterschiedlichste Formen des Gebetes ohne geweihtes Personal zum Lobe Gottes zu praktizieren. Auch eine solche Form des Gebetes können dem Gläubigen als Heiligung des Sonntags dienen. Natürlich ist die Heilige Messe das konstituierende Element einer jeder Kirchengemeinde – genauso wie der Gehorsam gegenüber der Heiligen Mutter Kirche. Kann die Eucharistie mangels Personal nicht überall gefeiert werden, sind auch die anderen Formen in den Filialkirchen zulässig. Diese Aussage wurde so auf der Diözesansynode in Trier getätigt und wird in der Diaspora in Deutschland und anderswo bereits gelebt.
Realistisch betrachtet stellt man sehr schnell fest, dass es uns äußerst schwer fällt, mit den alten – ja manchmal Jahrtausende alten – Worten und Riten die Freude an der Gemeinschaft mit Jesus Christus zu vermitteln. Wer versucht hat, den eigenen Kindern den Glauben näher zu bringen, wird schon bemerkt haben, dass die „Ausdeutenden Riten“ der Sakramente (wie das weiße Katechumenenkleid oder der Effata-Ruf bei der Taufe) noch schwerer zu erklären sind als die Sakramente selbst und dass die Geschichten der Bibel um ein Vielfaches komplexer sind als die der Brüder Grimm. Manchmal muss man einen Gang runter schalten und in einfachsten Worten, entlang der Sozialisation des Gegenübers die Botschaft verkünden. So sagt es uns die dogmatische Konstitution Dei Verbum, die ausdrücklich das Lesen der Heilsbotschaft Gottes allen Gläubigen empfiehlt und deshalb die Übersetzungen der Heiligen Schrift trotz aller Unvollkommenheit als notwendig ansieht.
In der dogmatischen Konstitution über die Kirche Lumen Gentium lesen wir, dass der Glaube der Kirche auch durch die Mitarbeit der Laien in dieser Welt gesät werden und Früchte bringen soll. Die Kirche ist in dieser Welt einem Wandel unterworfen auch wenn sie als die makellose Braut Christi weder Falten bekommt noch etwas an ihrem Wesen der Mode anpassen müsste. Sie ist schön und reich an sichtbaren und unsichtbaren Schätzen. Den größten darunter stellt selbstverständlich der Verdienst Jesu – der Gnadenschatz der Erlösung dar, den sie in den Sakramenten den Gläubigen angedeihen lässt. Doch auch die „sichtbaren“ Schätze der verschiedenen Liturgien, spiritueller Wege, geistlicher Texte und Gebete warten darauf, entdeckt zu werden. Deshalb müssen wir uns mit unseren Wünschen und Sehnsüchten vor unseren Hirten nicht verstecken. Dem einen eröffnet der Hymnos Akathistos die Augen der Seele, dem anderen gibt der Rosenkranz Halt in tiefster seelischer Not. Einer findet im Tridentinischen Ritus seine spirituelle Kraft. Noch ein anderer fährt nach Augsburg, um bei moderner Musik, Vorträgen und Gebet Gott sein Herz zu öffnen. Diesen „direkten Draht“ zu Gott findet er vielleicht in seiner Pfarrgemeinde nicht. Dort wird verwaltet, gestritten und eine längst nicht mehr nachvollziehbare Tradition aus den achtzigern gepflegt.
Jeder Arzt weiß, dass nicht die Menge eines Medikaments den erhofften Erfolg bringt, sondern der passende Wirkstoff. Zuerst setzte man auf Diakone, später auf Gemeindereferenten und nun auf nicht sachkundige Laien, um den „Gottesdienstbetrieb“ zu erhalten. Doch ist „Mehr vom Gleichen“ tatsächlich die Lösung? Ich glaube nicht, dass schlechte Kopien der eucharistischen Feier den Eltern bei der christlichen Sozialisation ihrer Kinder behilflich sein können. Eher das Gegenteil: Ein von „echten Pädagogen“ spielerisch gestalteter Gottesdienst, der die Kleinen anzieht; Ein sprachlich und musikalisch angepasster Lobpreis für Jugendliche; Ein Wortgottesdienst mit einem Kapitel aus dem Youcat für Erwachsene. (Ja, auch Erwachsene wissen nicht, was im Katechismus tatsächlich drin steht. Ihre religiöse Bildung fußt nicht selten auf dem Hörensagen und nachweislich falschen Medienberichten.) Die viel zitierten Rentner in den Kirchenbänken sterben nicht aus, wenn man ihnen zugesteht, dass sie als 68er-Generation mit der Art und Weise der Verehrung Gottes aus der Zeit ihrer Eltern nicht absolut konform sein müssen.
„Wer soll das machen?“ – Dieser Satz wirkt wie eine magische Formel zur Lähmung des Gegners in den innerkirchlichen Auseinandersetzungen. Eine so reiche Kirche wie die Deutsche, die Psychologen, Pädagogen, Profi-Musiker und sogar Ärzte unter Vertrag hat, wird diese Frage sicherlich beantworten können. Noch vor einigen Jahren hätte ich an dieser Stelle gerne auf die Gebetsgruppen verwiesen, die über jahrelange Gebetspraxis verfügen und ein eigenes Charisma in Treue zum Bischof von Rom lebten. Leider hat man vielerorts vergessen, das schutzbedürftige Pflänzchen ausreichend zu gießen. (Manchmal hat man sie nicht fachmännisch gestutzt, vereinzelt auch zu unrecht absichtlich in die Abstellkammer gestellt und verkommen lassen.) Also müssen wir uns darauf einstellen, mit den ungeübten Vorbetern auf die Pilgerschaft zum Haus des Vaters zu gehen. Das letzte Aufgebot einer im Steuergeld aber scheinbar nicht im unerschütterlichen Gottvertrauen schwimmenden Deutschen Kirche: die Pfarrsekretärin an den Altar, die Hausfrau zur Beerdigung! Und die Männer? Die sind schon längst fort. Nach Jahrzehnten ohne echte Männerseelsorge sind sie nahezu ausgestorben. So viel zum Kampfbegriff „Männerkirche“.
Bleibt uns nichts anderes übrig, als den alten Wein mit einer leichten Essig-Note in die spröden alten Schläuche zu füllen und zu warten, bis alles auf den Boden ausgelaufen ist? Vielleicht wacht doch ein mutiger Hirte auf und setzt mit dem Saft der Gnade neue Weine an – viele verschiedene Sorten und füllt sie in neue Schläuche, die ihm Gott dazu schenkt. Um solche Winzer Gottes wollen wir den Geist bitten, der uns in der Eucharistie die Einheit verleiht.